Oberhalb des malerischen Städtchens St.-Maurice, das voller Kultur und Geschichte erstrahlt, thront majestätisch die Feengrotte über dem Rhonetal, wie eine stille Wächterin der Natur und Zeit. Diese mystische Höhle, die erste ihrer Art in der Schweiz, öffnet seit über einem Jahrhundert ihre steinernen Arme für neugierige Besucher und bietet ein atemberaubendes Naturschauspiel aus schimmerndem Wasser und uralten Felsen. 

Durch die Kraft menschlicher Fantasie wird die Reise in die Tiefen der Erde zu einem unvergesslichen Abenteuer. Jeder Schritt entlang der beleuchteten Galerien ist wie ein Flüstern des Berges, der Geheimnisse offenbart, die im Spiel von Licht und Schatten seit Äonen verborgen lagen. Der wahre Höhepunkt dieser unterirdischen Erkundung offenbart sich jedoch nach einem halben Kilometer, wenn der Besucher auf den verborgenen See trifft – ein stilles Juwel, das von einem rauschenden, schwindelerregenden Wasserfall gekrönt wird. Hier, in der Stille und dem Echo der Tropfen, spürt man die Magie der Erde hautnah.

Geschichte

Die Grotte, ursprünglich als „Trou aux Fayes“ bekannt, diente seit der Antike als Zufluchtsort für die lokale Bevölkerung, die von Barbaren verfolgt wurde. 1831 erreichte eine Expedition, geleitet von Haller und Ott, eine Tiefe von 600 Metern. Ab 1864 prägte der Kanoniker Gard, ein Professor der Abtei von St.-Maurice, die Geschichte der Grotte, indem er wichtige Freilegungs- und Bauarbeiten organisierte. Während dieser Zeit wurde vermutlich der Zugang zum See durch Minen geöffnet. 

Gard widmete die Grotte zugunsten eines Waisenhauses und übertrug 1865 die Leitung der Grotte an die Ordensschwestern von St.-Maurice. Er benannte die Grotte in „Grotte aux Fées“ um, ein romantischerer Name, der in der damaligen Zeit gut ankam. 1925 entdeckten Fournier und Virieux ein höheres Netz und stießen bis zu einem Punkt vor, der bis heute als Endpunkt gilt.

Legende von Frisette

In den Tiefen der alpinen Berge, verborgen in einer funkelnden Grotte, die von magischen Kristallen erleuchtet wurde, wohnte die anmutige und gütige Fee Frisette. Ihr Palast lag in der Grotte von St.-Maurice, ein Ort von so viel Zauber, dass die Sterne des Nachthimmels dort zu wohnen schienen. Mit weichem Lächeln und schützender Hand wachte Frisette über die noble Familie Duin, die im majestätischen Schloss über Bex residierte, einem stolzen Bauwerk, das sich wie eine Krone über das Tal erhob.

Doch so wie das Licht stets von Schatten begleitet wird, gab es in jener Zeit nicht nur gute Feen. Unter den düsteren Wesen dieser Welt gehörte die Hexe Turlure zu den gefährlichsten. Ihre Augen funkelten boshaft wie die verborgenen Tiefen eines finsteren Sees, und ihr Herz war so kalt wie die Gletscher der Diablerets. Ein gewaltiger Felseneinsturz hatte sie aus ihrer düsteren Höhle vertrieben, und heimatlos und voller Groll wanderte sie durch die Berge, bis sie, voller Not, die Hilfe ihrer einstigen Rivalin Frisette suchte.

Mit einer Großzügigkeit, die selbst den Himmel erweichte, öffnete Frisette die Tore ihres schimmernden Palastes und bot Turlure Zuflucht. Doch eine strenge Bedingung stellte sie: Turlure durfte niemandem aus der Gegend Schaden zufügen. Für eine Weile hielt die Hexe sich an dieses Versprechen, doch ihre böse Natur, wie ein ungezähmter Sturm, ließ sich nicht für immer unterdrücken. Es war, als trage der Wind das Unheil stets in ihre Richtung.

Eines verhängnisvollen Tages, als die beiden Kinder der Familie Duin am glitzernden Ufer der Rhone spielten, schlich Turlure mit leiser Bosheit heran. Mit einem Lächeln, das die Luft zum Frösteln brachte, stieß sie die unschuldigen Kleinen ins tiefe Wasser. Das leise Rauschen des Flusses verwandelte sich in einen Schrei, doch noch bevor die Fluten sie verschlingen konnten, sah Frisette das Unglück aus der Ferne. Mit einem Aufblitzen ihres zeremoniellen Zauberstabes verschwand sie in einem Wirbel aus goldenem Licht und erschien inmitten der tobenden Strömung.

Mit der Grazie eines Sommerwinds rettete sie die Kinder, zog sie in die Sicherheit des Ufers, doch ihr Zorn auf die Verräterin war entfacht. In einem Moment der aufwühlenden Gerechtigkeit, ihrer unendlichen Güte zum Trotz, hob Frisette ihren Zauberstab und richtete ihn auf Turlure. Ein Blitz traf die Hexe, die kreischend ins brodelnde Wasser fiel, wo die Strömung sie gnadenlos forttrug. Doch in dem selben Augenblick, in der Hitze ihres Zorns, brach Frisettes mächtiger Stab entzwei. 

Der Verlust dieses magischen Instruments, das sie unzählige Male vor dem Bösen beschützt hatte, schnitt tiefer in ihr Herz als jede Feindeshand. Mit einem letzten, schmerzlichen Blick auf das Land, das sie einst mit so viel Liebe und Fürsorge bewacht hatte, entschwand Frisette, in Trauer versunken, für immer aus der Gegend. Die Grotte von St.-Maurice, einst erhellt von ihrem Glanz, verblasste in der Dämmerung der Legenden. Nur der Wind, der über die Rhone strich, flüsterte manchmal noch ihren Namen.

Der Schinkenknochen

Der alte Schinkenknochen, der immer noch schwer am Gewölbe hängt, erzählt von einer längst vergangenen Zeit, in der Magie und Schalk miteinander spielten. Die Geschichte beginnt mit Frisette, einer wunderschönen und gütigen Fee, die nicht nur für ihre Zauberkraft, sondern auch für ihre Lebensfreude bekannt war. Ihr Herz gehörte einem lebhaften und charmanten Ehemann, der sie so sehr liebte, dass sie ihre gemeinsame Zeit stets in Glückseligkeit verbrachten.

Eines milden Tages schlenderten sie Hand in Hand am Ufer eines tiefblauen Sees entlang, dessen Oberfläche wie ein funkelnder Spiegel die Sonne einfing. Die beiden waren so verliebt, dass Frisette beschloss, bei jeder der 68 Biegungen des Weges ihren Mann zu küssen. Bei der 41. Biegung, gerade als Frisette ihren Kopf zurücklegte, um einen weiteren Kuss zu empfangen, blinzelte sie plötzlich zur Seite und erblickte die 12 Zwerge der Grotte, die sich kichernd hinter einem großen Fels versteckten.

„Kommt hervor, ihr kleinen Strolche!“ rief Frisette in einem Ton, der gleichermaßen liebevoll und bestimmt war. Die Zwerge kamen sofort aus ihrem Versteck und versprachen, an Ort und Stelle zu bleiben, bis Frisette und ihr Gatte von ihrem Spaziergang zurückkehrten. Doch einer von ihnen, der kleine Schlaumeier Pipo, hatte andere Pläne. Neugierig und immer auf der Suche nach einem Abenteuer, schlich er den beiden nach, versteckt im Schatten, bis sie die Vorratskammer des Schlosses erreichten.

Dort angekommen, konnte Pipo nicht widerstehen. Mit einem schelmischen Grinsen sah er sich den köstlichen Schinken an, der verlockend von der Decke hing. Schnell rief er seine Freunde, die leise wie die Nacht herangeschlichen kamen. Gemeinsam, jeder Zwerg mit einem Schinkenstück in der Hand, verschlangen sie die Beute in Windeseile, nicht ohne den Spaß daran zu genießen. Schließlich, um keine Spuren zu hinterlassen, sprang Pipo auf die Schultern seiner Freunde, kletterte geschickt bis zum Gewölbe und stieß den leeren Schinkenknochen zwischen die Balken – und das in einer so artistischen Manier, dass er stolz grinste, als er sicher wieder zu Boden kam.

Als Frisette und ihr Ehemann später zurückkamen, dauerte es nicht lange, bis Frisette den Schabernack durchschaute. Mit einem listigen Lächeln und blitzenden Augen wusste sie sofort, dass nur Pipo für diesen Streich verantwortlich sein konnte. Sie fand ihn, zog ihn sanft aber bestimmt an den Ohren und führte ihn zurück in die Vorratskammer, um ihm seine Missetat vor Augen zu führen.

Doch Pipo, nicht um eine Antwort verlegen, schaute mit großen unschuldigen Augen zu ihr auf und sagte in honigsüßem Ton: „Aber meine liebe Frisette, ich habe Ihnen die Schweinsfüße gelassen, damit Sie und Ihr Gatte nach Ihrem langen, verliebten Spaziergang auch noch etwas zu essen haben.“

Frisette konnte nicht anders, als bei dieser charmanten Antwort in Lachen auszubrechen. Mit einem Schmunzeln führte sie den kleinen Zwerg zum See, wo sie ihm mit einem Augenzwinkern vergab. Zur Erinnerung an diesen unvergesslichen Tag wurde Pipos schelmisches Bildnis in den Felsen am See gemeißelt, und noch heute kann man es dort bewundern – eine stumme Erinnerung an den frechen Zwerg, der einen Schinken stahl und die Herzen mit seinem Witz gewann.

Zugang

Die Grotte ist gut zu Fuss zu erreichen und kostet einen kleinen Eintritt.

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