In den alten Mauern von St.Gallen, wo einst der irische Mönch Gallus sein einfaches Eremitenleben begann, schlummert ein Schatz aus Pergament und Tinte, aus Wissen und Träumen. Die Stiftsbibliothek, deren Wurzeln tief in die Nebel der Zeit reichen, ist mehr als nur eine Sammlung von Büchern – sie ist ein lebendiges Echo vergangener Jahrhunderte, ein Hort der Weisheit, gehüllt in den Zauber der Geschichte.
Schon mit Gallus, der um 612 die Stätte erbaute, begannen die Seiten des Wissens sich hier zu füllen. Mit bedächtiger Hand setzten die Mönche ab dem 8. Jahrhundert Zeichen auf Pergament, schufen in ihrem Skriptorium eine der bedeutendsten Handschriftensammlungen Europas. Auf dem berühmten St.Galler Klosterplan von 820 bezeugt, wuchs die Bibliothek zu einem strahlenden Zentrum der Gelehrsamkeit heran. Notker Balbulus, dessen Zunge stotterte, aber dessen Geist funkelte wie ein Stern, und Ekkehart IV., der mit unermüdlichem Eifer die Seiten durchforschte, prägten mit ihren Werken das kulturelle Erbe dieser ehrwürdigen Hallen.
Im Hartmutturm trotzten die Bücher über Jahrhunderte den Flammen und Unruhen, den Wirren der Reformation und den Stürmen der Zeit. Als ob ein unsichtbarer Schutzgeist über ihnen wachte, blieben sie bewahrt, bis 1553 ein neues Zuhause für sie errichtet wurde – ein eigenes Bibliotheksgebäude im Westflügel des Klosters. Doch das wahre Juwel folgte 1767: der barocke Bibliothekssaal, ein Raum von solcher Anmut und Schönheit, dass er noch heute Besucher in ehrfürchtiges Staunen versetzt. Von den kunstvoll verzierten Regalen scheinen die Bücher mit leiser Stimme ihre Geschichten zu flüstern, während über ihnen Engel und Stuckaturen in himmlischem Glanz erstrahlen.
Als 1797 die Fürstabtei aufgehoben wurde, hing das Schicksal der Bibliothek am seidenen Faden. Doch kluge Stiftsbibliothekare sorgten dafür, dass dieser Hort der Weisheit unversehrt blieb. Heute ist die Stiftsbibliothek nicht nur das Herzstück des UNESCO-Weltkulturerbes Stiftsbezirk St.Gallen, sondern auch eine der strahlendsten Perlen der Ostschweiz. Sie ist eine Brücke zwischen den Zeiten, eine Oase der Stille und der Erkenntnis, in der die Vergangenheit in tausend Seiten weiterlebt – bereit, ihre Wunder jedem zu offenbaren, der sie zu lesen versteht.
Zugang
Die Bibliothek ist täglich geöffnet und gegen Eintritt zugänglich.
Fotocredit «Stiftsbibliothek St.Gallen».