Hoch oben, wo die Brentadolomiten den Himmel berühren und der Wind mit den Lärchen flüstert, wacht ein mächtiger Bär aus Holz über das Tal. Der Orso del Pradel ist kein gewöhnlicher Bär – er ist eine Skulptur, ein Mythos, ein Sinnbild für die stille Kraft der Natur. Er erhebt sich auf einer Lichtung nahe der Berghütte La Montanara, in der stillen Ortschaft Tof de l’Ors, als würde er das Land unter seinen Tatzen beschützen.
Geschaffen hat ihn der aus Venetien stammende Bildhauer Marco Martalar, der dem zerstörerischen Sturm Vaia, der 2018 ganze Wälder in Trentino und Venetien niederwarf, ein poetisches Gegengewicht entgegensetzte. Aus den geborstenen Ästen, den vom Wind gebrochenen Rinden und Stämmen formte er einen Bären – stark, weise, still. Ein Totem des Widerstands, ein Denkmal des Neubeginns.
Der Orso del Pradel ist mehr als eine Skulptur. Er ist eine Begegnung. Wer ihm gegenübersteht, spürt das Murmeln des Waldes, das Echo der Berge und den Pulsschlag einer Landschaft, die sich stets wandelt und doch nie vergeht.
Erreichbar ist dieser sagenhafte Ort auf unterschiedliche Weise:
Die Skilifte von Molveno – eine Kabinenbahn und ein anschließender Sessellift – tragen Besucher in kaum fünf Minuten vom Alltag hinauf in die Welt des Staunens. Wer jedoch lieber dem Rhythmus der eigenen Schritte folgt, kann den Weg zu Fuß in Angriff nehmen:
– in etwas mehr als einer Stunde von der Ortschaft Valbiole,
– in zwei Stunden von Molveno,
– oder in etwa vierzig Minuten, wenn man bereits Pradel erreicht hat.
Ob mit schnaubendem Atem und Wanderstiefeln im Morgentau oder mit leuchtenden Augen nach einer stillen Fahrt durch die Lüfte – die Ankunft bei diesem hölzernen Giganten ist immer ein kleines Wunder.
Ein poetischer Epilog
Wenn der Abendgold über die Dolomitengipfel streicht und der Wind durch das Fell des Holzbären fährt, scheint er zu leben. Dann steht er da – nicht als stumme Skulptur, sondern als Hüter der Stille, als Wächter der Wälder, als leises Versprechen, dass aus dem Fall etwas Neues wachsen kann. Der Orso del Pradel ist nicht nur ein Ziel. Er ist eine Begegnung mit der Seele des Waldes.