Es gibt Orte, an denen das Wasser nicht nur fließt, sondern spricht – mit donnernder Stimme, mit silbernen Liedern, mit einem Klang, der in den Herzschlag der Erde übergeht. Einer dieser Orte liegt verborgen im grünen Herzen Sardiniens, in der Nähe von Villacidro, wo die Felsen singen und die Wälder nach Myrte, Moos und Magie duften. Sa Spendula nennen ihn die Einheimischen – schlicht „der Wasserfall“. Doch was so nüchtern klingt, ist in Wahrheit ein wildes Gedicht aus Licht und Gischt, geformt von der Hand der Natur.
Der Tanz des Wassers über Granit und Zeit
Stell dir einen Wasserstrahl vor, der einen Berg durchschneidet wie ein Dolch aus Kristall. Stell dir vor, wie er aus den Höhen des Santu Miali herabstürzt – nicht einmal, nicht zweimal, sondern in drei eleganten Sprüngen, als wolle er das Tal mit einem dreifachen Ruf des Erwachens segnen. Hier fällt der Rio Coxinas über 60 Meter in die Tiefe, und mit jedem Sprung schält er sich ein Stück mehr in die Seele des Granits.
Die Stürze formen drei smaragdgrüne Naturbecken, verborgen zwischen bemoosten Felsen, von der Sonne geküsst und vom Wind umarmt. Das Wasser rauscht, sprudelt, glitzert – und scheint dabei uralte Geheimnisse zu erzählen.
Ein Wasserfall, der Dichter verzaubert
Als der Dichter Gabriele D’Annunzio 1882 Sardinien bereiste, war es nicht das Rauschen des Meeres oder der Glanz der Städte, das ihn zu einem Sonett inspirierte. Es war dieser Wasserfall, dieses flüssige Wunder, das wie ein weißer Schleier durch das Grün gleitet. In seinem Gedicht erklingt Sa Spendula wie eine Muse, die den Himmel küsst und das Herz des Betrachters entflammt.
Denn wer einmal dort steht – inmitten des dichten Waldes, dem feinen Sprühnebel im Gesicht, das Echo des Wassers in den Ohren – der spürt: Hier ist die Natur nicht still, sondern in voller Rede. Hier lebt die Wildheit, die Reinheit, die Poesie der Elemente.
Granitnadeln und grüne Schluchten
Die Landschaft rings um Sa Spendula ist mehr als bloß Kulisse – sie ist ein lebendiger Tempel der Natur. Die Schlucht, in die sich der Wasserfall ergießt, ist von wilder Schönheit: Granit, der sich aufbäumt wie gefrorene Wellen, knorrige Bäume, die ihre Äste wie Finger in den Himmel strecken. Und über allem wacht die Campanas de Sisinni Conti, eine Felsnadel, so scharf und majestätisch, als hätte ein Riese sie dort zur Ehre des Wassers aufgerichtet.
Für alle, die dem Wasser folgen wollen
Ort: Villacidro, Medio Campidano
Wanderung: Ein gut zugänglicher Pfad führt durch schattige Wälder direkt zum Wasserfall
Beste Zeit: Frühjahr und Herbst – wenn der Rio Coxinas kraftvoll seine Stimme erhebt
Tipp: Besonders nach einem Regenschauer wirkt der Wasserfall wie ein lebendiges Gemälde