Es gibt Gärten – und es gibt Wunder. Der Parco Scherrer in Morcote, am glitzernden Ufer des Luganersees, ist beides zugleich: ein Ort der Staunen macht, ein botanisches Gedicht, ein Spaziergang durch Jahrtausende und über Kontinente. Wer ihn betritt, lässt die Schweiz hinter sich und wird Teil einer Vision – jener eines Mannes, der seine Träume nicht auf Leinwand bannte, sondern in Stein, in Marmor, in Zypressen und Magnolien: Arturo Scherrer, ein reisender Träumer, ein weltgewandter Ästhet, ein Mann, der den Garten Eden in Terrassen aufbauen wollte – und es tat.

Der Zaubergarten eines Weltbürgers

Arturo Scherrer war kein gewöhnlicher Sammler. In seinem Innersten war er ein Romantiker, ein leidenschaftlicher Erzähler, der Geschichten nicht mit Worten, sondern mit Bauwerken, Pflanzen und Perspektiven erzählte. Sein Garten, liebevoll „Il Giardino delle Meraviglie“ genannt, ist ein Manifest dieser Liebe zur Welt. Ob griechische Tempel, indische Paläste, ägyptische Mysterien oder arabische Träume – alles findet hier zusammen, gebettet in eine subtropische Vegetation, die in der Schweiz ihresgleichen sucht.

Ein Spaziergang durch Zeiten und Zivilisationen

Schon der Eingang kündigt das Kommende an wie der Vorhang auf einer Bühne: venezianische Springbrunnen, byzantinische Löwen, barocke Marmorstatuen von Carrara – flankiert von Azaleen und blühenden Kamelien. Man schreitet eine Treppe empor, vorbei an Symbolen des Handels, der Weisheit, der Jahreszeiten, und steht plötzlich vor einem Tempel des Eros, einem Libanon-Zeder, einer griechischen Anfora aus dem 13. Jahrhundert – und fragt sich, ob man in einem Traum wandelt.

Auf einer Anhöhe, über dem See thronend, öffnet sich dann das Panorama: die Alpen im Rücken, der Ceresio zu Füssen, und zwischen zwei ägyptischen Sphingen wacht Venus, während Juno und Jupiter sich unter Azaleen in Gedanken verlieren. Dann, fast schüchtern, tritt das Erechteion ins Blickfeld – eine 1:4-Nachbildung des Tempels der Akropolis, samt Karyatiden, aus Vicenza-Stein gehauen. Griechenland, eingefasst in Tessiner Himmel.

Wo Elefanten tanzen und Götter ruhen

Ein Stück weiter führt ein Bambushain in den Orient: Eine siamesische Teestube erinnert an ferne Tempelzeremonien. Dann erhebt sich, in sakraler Stille, der Tempel der Nofretete, bewacht von Sekhmet und Horus, bemalt in altägyptischen Farben, und im Innern: ein getreues Abbild des berühmten Büstens der Königin. Hier ruhen auch die Urnen von Arturo und Amalia Scherrer – ein leiser, würdiger Abschluss ihres irdischen Traums.

Doch der Weg ist noch nicht zu Ende. Plötzlich steht man inmitten indischer Mystik: ein Palast nach dem Vorbild des Palazzo Salò, bemalt im Moghul-Stil, bewacht von vier Elefanten mit erhobenen Rüsseln, flankiert von Cobra-Statuen, überragt von der heiligen Kuh von Mysore. Wasser plätschert, Bambus raschelt, und irgendwo summt eine Libelle zwischen den Lotusblüten des kleinen Teichs, an dessen Rand eine chinesische Schildkröte in Stein gehauen sitzt – Sinnbild für ein langes Leben.

Liebe zum Tessin, Stein für Stein

Am Ende dieses surrealen Spaziergangs steht – fast bodenständig – eine liebevoll rekonstruierte lombardisch-tessiner Bauernhaus aus dem 14. Jahrhundert. Arturo Scherrer liess es errichten als Hommage an seine Wahlheimat. Ein Grotto, in dem heute gegessen, gelacht und weitergeträumt wird.

Ein Garten, der Geschichten erzählt

Der Parco Scherrer ist nicht nur ein botanischer Schatz mit über fünfzig markierten Pflanzenarten – von Palmen über Glyzinien bis zu duftenden Zitrusbäumen. Er ist ein Gesamtkunstwerk, ein Sinnesrausch, ein Ort der Kontemplation und des Staunens. Seit 1965 gehört er dem Gemeinde Morcote, ein Geschenk von Amalia Scherrer mit der Bitte, dieses Paradies zu bewahren und für alle zugänglich zu machen.

Heute ist er Teil der renommierten „Grandi Giardini Italiani“, und seine fantasievollen Rekonstruktionen aus Barock, Rokoko und Jugendstil machen ihn zum Juwel unter den sogenannten „Follies Gardens“ – Gärten, in denen Architektur und Sehnsucht sich begegnen.

 

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