Ganz hinten im Muotathal, dort wo das Tal enger wird, die Wasserfälle tanzen und die Felswände wie uralte Wächter emporragen, liegt ein verborgener Schatz der Natur: das Bisisthal. Wer die Schweiz kennt, kennt vielleicht die Glattalp. Doch wer sie fühlen will – in ihrer rauen Ursprünglichkeit und ihrem märchenhaften Zauber – sollte sich auf den Weg zum Waldisee machen.
Zwischen Wasserfällen und Alphütten: Das Bisisthal ruft
Unsere Reise beginnt bei der Talstation der Seilbahn Glattalp in Sahli, wo das Tal sich schon beinahe verläuft in den Schatten mächtiger Berge. Die Strasse, auf der wir ein Stück zurück zur Haltestelle „Schlänggen“ wandern, ist gesäumt von saftigen Wiesen, moosigen Steinmauern und der Art von Stille, die nur von rauschenden Bächen und Kuhglocken unterbrochen wird.
Hier beginnt der Aufstieg zum Waldisee – einem kleinen Bergsee auf 1404 Metern, versteckt auf der Waldialp. Der Weg ist einfach, geeignet auch für wenig Geübte, aber mit genügend Magie für erfahrene Wanderseelen. Etwa 6 Kilometer ist die Rundwanderung lang, rund zweieinhalb Stunden dauert sie – wenn man den vielen Fotostopps widerstehen könnte. Doch wer wollte das schon?
Der Waldisee – Ein Spiegel der Stille
Oben angekommen, öffnet sich plötzlich die Landschaft. Vor uns liegt der Waldisee – still, spiegelnd, wie ein Stück Himmel, das sich hier niedergelassen hat. Hinter ihm ragen Waldistöck, Ochsenhubel und Geissstock in die Höhe. Und am Ufer: die Waldi-Ranch, eine gemütliche Alpwirtschaft, die mit hausgemachtem Käse, Kuchen, Kinderspielplatz und warmem Alpkafi lockt. Wer möchte, kann sogar übernachten – unter Sternen, die so nah scheinen, als könne man sie pflücken.
Der See selbst ist klein, aber voller Leben – Libellen tanzen über dem Wasser, Kühe weiden träge auf den umliegenden Alpweiden. Und wer genau hinsieht, erkennt im Waldibach, der aus dem See fliesst, das lebendige Band, das den Waldisee mit dem Salisee verbindet – wie zwei funkelnde Perlen auf einem grünen Samtband.
Ein Hauch Geschichte: Das blutrote Muotawasser
Wer im Bisisthal wandert, spürt nicht nur die Kraft der Natur, sondern auch den Atem der Geschichte. Eine düstere Legende aus der Zeit der Napoleonischen Kriege erzählt vom „blutroten Muotawasser“.
Im Herbst 1799 marschierten russische Truppen unter General Suworow über den Kinzigpass ins Muotatal, um auf die französische Armee zu treffen. Es kam zu heftigen Gefechten, besonders bei der sogenannten Franzosen-Schanze südlich der heutigen Hinter-Ibergbrücke. Die Franzosen, vom russischen Flankenfeuer überrascht, flohen in Panik zur zerstörten Holzbrücke beim Schlattli. Nur zwei Balken waren vom ursprünglichen Übergang geblieben. In ihrer Verzweiflung stürzten Soldaten mitsamt Kanonen und Pferden in die schäumende Muota.
Ein hoher französischer Offizier auf einem Schimmel versuchte dreimal, sein Pferd zum Sprung in die Tiefe zu treiben – beim dritten Versuch wagte es das Tier. Ross und Reiter verschwanden im reissenden Wasser. Die Muota, so erzählt man sich, floss danach blutrot bis hinunter nach Ibach.
Ein Tal wie aus dem Bilderbuch
Das Bisisthal ist nicht einfach nur ein abgelegenes Tal. Es ist ein Ort, an dem die Zeit langsamer tickt, an dem man die Urkraft der Berge spürt – und an dem man sich selbst wieder ein kleines bisschen näher kommt. Der Waldisee, eingebettet zwischen sanften Weiden und schroffen Felszähnen, ist ein idealer Ort für Naturliebhaber, Fotografen, Familien – und für alle, die das Ursprüngliche suchen.