Versteckt zwischen schroffen Graten und alpinen Träumen liegt ein See, der so still und doch so lebendig ist, dass man ihn nicht einfach besucht – man tritt ein in eine andere Welt. Der Eisee, über 1900 Meter über dem Alltag, ruht am Fusse des ehrwürdigen Brienzer Rothorns wie ein vergessenes Auge der Natur, das in allen Farben des Himmels leuchtet.
Wenn das erste Morgenlicht über die Gipfel gleitet, beginnt der Eisee zu funkeln – mal smaragdgrün, dann saphirblau, manchmal silbern wie flüssiges Licht. Fischer werfen ihre Linien aus, als wollten sie nicht nur Forellen oder Saiblinge fangen, sondern auch einen Hauch vom alten Zauber, der hier in der Luft liegt. Die Fischer-Freunde Eisee hüten diesen Schatz mit Hingabe und sorgen für einen nachhaltigen Fischbesatz – doch der eigentliche Reichtum dieses Ortes ist nicht messbar.
Wer sich aufmacht, diesen versteckten Alpensee zu erreichen – ob mit der Gondelbahn, mit kräftigen Schritten oder von den umliegenden Höhenwegen her – der spürt bald, dass hier andere Regeln gelten. Die Zeit scheint sich zu dehnen. Gedanken verlieren an Gewicht. Die Seele wird leicht wie eine Feder im Wind.
Am Ufer tanzen Kinder barfuss über Steine, während das Picknick in der Wiese duftet. Ein Sprung ins eisklare Wasser weckt nicht nur den Körper, sondern auch den Geist. Und wer das Glück hat, auf der Terrasse des Berghauses zu verweilen, fühlt die Sonne auf der Haut, den würzigen Duft der Alpenkräuter in der Nase und den Blick weit, weit hinaus ins Tal. Hier oben, wo die Welt klein und der Himmel gross wird, fällt es leicht, einmal tief durchzuatmen – «düreschnuufe», wie man im Berner Oberland sagt.
Mit etwas Geduld zeigen sich vielleicht die wahren Bewohner dieser Höhen: Murmeltiere, die ihre frechen Pfeiftöne in den Wind schicken, eine Gämse, die anmutig über das Geröll tänzelt, oder gar ein stattlicher Steinbock, der wie ein alter Wächter über das Tal blickt.
Der Eisee ist nicht nur ein Ort – er ist ein Zustand. Ein Zustand von Stille, Einkehr und Verbindung. Verbindung mit der Natur, mit der Ursprünglichkeit, mit dem eigenen Inneren. Wer hier verweilt, lauscht nicht nur dem leisen Plätschern des Wassers – er hört die Geschichten, die der Wind vom Brienzer Rothorn herüberträgt. Von alten Zeiten, von wandernden Seelen, von verborgenen Pfaden.
Und vielleicht – nur vielleicht – trägt man nach der Heimkehr ein kleines Stück Eisee im Herzen weiter. Wie einen glitzernden Stein, den man in der Tasche findet und sich lächelnd fragt, ob er vielleicht mehr ist als nur ein Souvenir.