Thun, das Tor zum Berner Oberland, ist eine Stadt voller Magie, in der sich Geschichte und Natur zu einem sagenhaften Erlebnis verweben. Eingebettet zwischen dem glitzernden Thunersee und den majestätischen Alpen, erzählt jeder Winkel dieser Stadt von längst vergangenen Zeiten und geheimnisvollen Legenden.

Hoch über der Stadt thront das Schloss Thun, dessen Türme seit dem 12. Jahrhundert über die Dächer wachen. Wer durch den Rittersaal schreitet, betritt eine Zeit, in der Adelige Macht demonstrierten und Händler auf den Wegen unterhalb des Donjons ihre Geschäfte tätigten. Ein ebenso geschichtsträchtiger Ort ist die Stadtkirche, die mit ihrem achteckigen Turm den Himmel zu berühren scheint – ein stiller Zeuge jahrhundertealter Geschichten.

Die Obere Hauptgasse gleicht einer Szenerie aus einer Märchenerzählung: Häuser mit farbenfrohen Fassaden, geheimnisvolle Hochtrottoirs und verborgene Durchgänge, die den Eindruck erwecken, als könne hier jederzeit eine alte Sage zum Leben erwachen. Ebenso faszinierend ist das Rathaus, dessen Mauern seit Jahrhunderten die Geschicke der Stadt lenken – ein Ort, an dem Entscheidungen fielen, die bis heute nachwirken.

Mystisch wird es an den Schleusen der Aare, wo das Wasser in jahrhundertealten Kanälen rauscht und die Stadt seit jeher mit seiner Kraft versorgt. Wer sich von diesem Zauber treiben lässt, gelangt zum Mühleplatz, einst ein Zentrum des Handwerks, heute ein lebhafter Treffpunkt am Wasser, an dem sich die Geschichten der Vergangenheit mit dem pulsierenden Leben der Gegenwart vermischen.

Ein weiteres architektonisches Juwel ist der Thunerhof, ein Relikt der Belle Époque, das einst Adelige und Reisende aus aller Welt beherbergte. Seine verzierten Decken, kunstvollen Glasmalereien und prunkvollen Treppenhäuser flüstern von vergangenen Zeiten, als hier rauschende Feste gefeiert wurden.

Für eine märchenhafte Flucht ins Grüne lockt der Aarequai, eine Promenade, die sich entlang des Wassers erstreckt und ein atemberaubendes Panorama auf den Thunersee und die Berner Alpen freigibt. Der Weg führt bis zum Schloss Schadau, das mit seiner romantischen Architektur und seinem weitläufigen Park wie aus einem Feenbuch entsprungen scheint. Unweit davon erhebt sich die Kirche Scherzligen, ein spiritueller Kraftort mit uralten Fresken, die eine fast vergessene Geschichte erzählen.

Wer sich auf eine Reise in die Tiefen der Zeit begeben möchte, sollte den Bonstettenpark besuchen, der nicht nur mit seiner Naturschönheit verzaubert, sondern auch ein Ort geheimer Treffen und mutiger Widerständler war.

Thun ist weit mehr als eine Stadt – es ist ein Ort voller Mysterien und Sagen, in dem Vergangenheit und Gegenwart auf magische Weise miteinander verschmelzen. Wer einmal in dieses märchenhafte Städtchen eintaucht, wird sich seinem Zauber kaum entziehen können.

Fulehung

Wenn die frühen Nebel noch über den Gassen von Thun liegen und die Stadt in dämmerndem Grau erwacht, beginnt eine Jagd, die auf eine uralte Geschichte zurückgeht – die Legende des Fulehung.

Man erzählt sich, dass nach der Schlacht von Murten im Jahr 1476 die siegreichen Thuner einen ganz besonderen Fang machten: den Hofnarren von Karl dem Kühnen. Dieser Narr hatte die Thuner zuvor mit spöttischen Worten verhöhnt und ihre Ehre gekränkt. Nun aber wendete sich das Blatt. In den Gassen Thuns wurde er umhergehetzt, bis ihm die Kräfte versagten. Es war eine späte, doch schallende Rache an jenem, der sich über sie lustig gemacht hatte.

Über die Jahrhunderte hinweg wurde diese Episode zur Sage, und die Gestalt des Narren nahm eine feste Rolle im Thuner Stadtbild ein. Ursprünglich unter dem Namen Bajass bekannt, trat er bereits 1855 am traditionellen Ausschiesset in Erscheinung. Doch erst 1864 wurde er mit der berüchtigten Teufelsmaske ausgestattet, die ihn von da an unvergesslich machte. Die Epidemiejahre zwischen 1880 und 1885 zwangen den Fulehung in eine Zwangspause – und als er wiederkehrte, sprach man von ihm nur noch als „Fulehung“ – dem faulen, herumlungernden Narren.

Doch trügt dieser Name, denn wer den Fulehung jagt, muss flink sein! Noch heute beginnt der Ausschiesset-Montag im Morgengrauen mit seinem Auftritt auf dem Rathausplatz. Die Menschenmengen rufen ihm „Fulehung, Fulehung!“ und „Fulehung, Souhung!“ hinterher, während er mit seinem Söiplaatere – einem Stock mit Schweineblasen – seine Verfolger energisch abwehrt. Doch er ist nicht nur ein zorniger Schelm: Die Kinder der Stadt beschenkt er mit Süssigkeiten und Gratisfahrten auf dem Karussell, während er sich durch die engen Gassen und verborgenen Wege Thuns schlängelt, stets auf der Flucht vor den johlenden Massen.

Seine uralte Maske, ein Relikt aus vergessenen Zeiten, wurde über die Jahrhunderte hinweg erneuert, doch ihr wahres Alter bleibt ein Rätsel. Die Originalmaske ruht heute wohlverwahrt, während der Fulehung sein Unwesen nun mit einer leichteren Kopie treibt.

So bleibt der Fulehung in Thun nicht nur eine Figur aus der Vergangenheit, sondern eine lebendige Legende. Jahr für Jahr durchstreift er die Stadt, als ob der alte Hofnarr von Karl dem Kühnen noch immer fliehen müsste – gejagt von den Nachfahren jener, die ihn einst gefangen nahmen. Und vielleicht, so raunt es durch die dunklen Gassen, ist er tatsächlich ein Geist der alten Zeit, der niemals zur Ruhe kommen kann.

 

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