Im stillen Schatten der Kirche St. Peter und Paul steht das Beinhaus von Stans, ein Bauwerk, das über Jahrhunderte die menschliche Vergänglichkeit in den Fokus rückt. Errichtet 1482 und 1560 mit einem Obergeschoss erweitert, war es einst nicht nur eine Stätte der Totenspeicherung, sondern auch ein Ort der Andacht und Hoffnung auf das Ewige Leben.

Während das Untergeschoss der sorgsamen Aufbewahrung der Gebeine diente, erhob sich darüber ein Kultraum, der von sakraler Bedeutung erfüllt war. Hinter dem filigranen Holzgitter offenbart sich eine beeindruckende Wand aus Schädeln, ein stiller Zeuge der Vergänglichkeit. Rechts neben dem Eingang zieht ein Relief die Aufmerksamkeit auf sich, das die Qualen des Fegefeuers auf ergreifende Weise darstellt.

Das untere Beinhaus ist ein Raum, der mit seiner Schädelwand zum Nachdenken zwingt. Hier, wo unzählige Schädel kunstvoll geschichtet wurden, bleibt die Zeit stehen. Einige Schädel tragen Zahlen oder Namen, stille Zeugen eines Lebens, das einst geatmet und geliebt hat. „Kein Schädel gleicht dem anderen“, erzählt die Kirchenführerin Klara Niederberger. „Die Gravuren auf manchen Köpfen spiegeln den Wunsch wider, in der Masse nicht unterzugehen – vielleicht auch eine Hoffnung auf Wiedererkennung am Tag der Auferstehung.“

Ein schmaler Fensterschlitz wirft Licht auf die Wand der Schädel, während nebenan das „Arme-Seelen-Licht“ brennt – ein Symbol des Glaubens an das Leben nach dem Tod. Vor der Schädelwand erhebt sich die lebensgroße Figur des kreuztragenden Christus, geschaffen von Jost Zumbühl, die mit ihrer Präsenz sowohl Trost als auch Mahnung bietet.

Wer das Beinhaus verlässt, wird mit weiteren Erinnerungen an die Endlichkeit konfrontiert. An der Außenwand der Kirche erinnert das Ars-Moriendi-Fresko an die Opfer des Nidwaldner Aufstands von 1798. In unmittelbarer Nähe zeugt das Winkelried-Denkmal und die Brunnenskulptur „Der Tod und das Mädchen“ von der Auseinandersetzung mit Tod und Erinnerung.

Das Beinhaus in Stans ist mehr als nur ein Raum – es ist eine Einladung, die eigene Sterblichkeit zu reflektieren und den Blick über das irdische Leben hinaus zu erheben.

Sagen und Geschichten aus der Gruft

Im Jahr 1920 war das Beinhaus von Stans ein düsterer Ort, gefüllt bis zur Decke mit Knochen und Schädeln, die seit Jahrhunderten im Halbdunkel der Gruft ruhten. Der modrige Geruch der Vergänglichkeit hing schwer in der Luft, und niemand wagte es, die Totenruhe zu stören. Doch eines Tages trieb jugendliche Übermut zwei junge Männer zu einer schaurigen Wette: Wer würde den Mut aufbringen, einen Schädel aus der Gruft zu holen?

Mit einer zitternden Laterne in der Hand schlich der erste Junge in das klaustrophobische Dunkel. Die Schatten der Schädel schienen sich in der flackernden Flamme zu bewegen, als ob die Geister der Toten ihm über die Schulter blickten. Zittrig grub er eine knochige Hand in den Haufen und zog einen Schädel hervor. Seine Finger spürten die kalte, glatte Oberfläche, als plötzlich eine eisige Stimme aus der Dunkelheit erklang:

„Lass den sein, der ist mein!“

Der Junge erstarrte, sein Herz raste wie ein Trommelschlag in der stillen Gruft. Er konnte nicht glauben, was er gehört hatte – sicher ein Streich seines Freundes! Trotz seiner Angst fasste er neuen Mut, ließ den ersten Schädel fallen und griff nach einem zweiten. Wieder ertönte dieselbe Stimme, noch eindringlicher, noch unheimlicher:

„Lass den sein, der ist mein!“

Schweiß rann ihm über die Stirn, seine Hände zitterten, doch sein Stolz ließ ihn nicht zurückweichen. Er packte einen dritten Schädel und flüsterte heiser: „Dieser Schädel gehört jetzt mir! Du wirst doch wohl nicht drei Grinde auf deinem Hals tragen!“

Ein kaltes Lachen schien durch die Gruft zu hallen, und die Laterne flackerte wie im Wind, obwohl die Luft unbewegt war. Der Junge floh, den Schädel fest umklammert, und schwor sich, niemals zurückzukehren. Doch die Schädelwand schien ihn von da an zu verfolgen, in Albträumen, die ihn jede Nacht heimsuchten.

Man sagt, wer in diese Gruft hinabsteigt und einen Schädel stiehlt, hört immer wieder dieselbe Stimme – und wird nie wieder Frieden finden. Bis heute soll ein leises Flüstern durch die Kammern hallen, wenn das Licht schwindet: „Lass den sein, der ist mein …“

Zugang

Das Beinhaus ist frei zugänglich.

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