Versteckt unter der schützenden Decke einer waagrecht liegenden Nagelfluhschicht, tief im bewaldeten Hang des Allmen bei Bäretswil, schläft ein stiller Zeuge der Geschichte – die Täuferhöhle. Wer den verschlungenen Pfad durch den märchenhaften Wald nimmt, gelangt nach einer knappen Viertelstunde Wanderung an einen Ort, der mehr ist als bloss eine Höhle. Es ist ein Refugium. Eine steinerne Zuflucht. Ein heiliger Hauch von vergangenem Widerstand.

Hier, auf 910 Metern über dem Meer, umhüllt vom leisen Rauschen eines Wasserfalls, öffnet sich unter moosbedeckten Felsvorsprüngen eine Höhle von überraschender Weite: 40 Meter misst ihre steinerne Umarmung in der Breite, 30 Meter zieht sie sich in die Tiefe des Berges, und bis zu vier Meter ragen ihre Decken empor. In ihrem Schutz scheint selbst das Echo leiser zu flüstern – ehrfürchtig, als wolle es die Erinnerungen der Jahrhunderte nicht stören.

Ein Hort der Verfolgten

Im 16. Jahrhundert, als der Wind der Reformation durch Zürich blies und die religiösen Ordnungen neu ordnete, war nicht jeder bereit, sich diesem Sturm kampflos zu beugen. Die Täufer, radikal in ihrem Glauben an die Taufe mündiger Erwachsener, gerieten rasch ins Visier der Obrigkeit. 1526 entschied der Zürcher Rat: der Tod für alle, die nicht widerriefen.

Und so flohen sie. In Wälder. In Berge. In Höhlen.

Die Täuferhöhle wurde zum Versteck, zum Schutzraum vor der Verfolgung, zur Kirche ohne Turm, aber mit einem Dach aus Stein. Ob sich auch Felix Manz, Mitbegründer der Zürcher Täuferbewegung, hier verborgen hielt, ist nicht belegt – doch die Legende haucht seinem Namen zwischen den Felswänden eine gewisse Präsenz ein.

Geist in der Grotte

Heute stehen in der Höhle Bänke, eine Feuerstelle lädt zum Verweilen ein. Schulklassen und Jugendgruppen übernachten hier, wo einst Glaubensflüchtlinge zitternd beteten. Die trockene Erde unter den Füssen trägt noch Spuren der Vergangenheit: Als 1830 Nischen mit Besteck und bemalten Kacheln entdeckt wurden, glaubte man an Hinweise auf jene Täuferzeit. Später stellte sich heraus, dass im 19. Jahrhundert eine Sommerschenke hier betrieben wurde. Und doch bleibt die Vorstellung bestehen – wie Schatten im Fackelschein –, dass die Höhle einst spirituelles Zentrum war, verborgen im Dickicht.

Symbol der Oberländer Seele

Georg Schmid, Religionshistoriker und ein feiner Beobachter der Zürcher Oberländer Spiritualität, nennt die Täuferhöhle ein Denkmal des Widerstandes – nicht nur gegen Repression, sondern gegen geistige Gleichschaltung. Die Menschen hier, so meint er, seien dem Himmel näher als der Stadt, ihrer Religion persönlicher, unmittelbarer, eigenwilliger. Die Höhle, als sinnbildlicher Raum, wird so zur Metapher einer inneren Landschaft: zerklüftet, aber beherzt. Wild, aber weise.

Es ist eine Mystik aus Erde und Glauben, aus Einsamkeit und Erwählung. Eine Spiritualität, die durch Täler der Erniedrigung zur Erhöhung führt, in der sich das Unendliche im Kleinsten spiegelt: ein Tropfen Wasser, der über Jahrtausende den Fels formt. Ein Gebet, das zwischen Moosen und Steinen nicht verhallt.

Zeitform: Eis und Wasser

Die Höhle selbst ist älter als jedes Menschenwort, geformt durch das Spiel von Schmelzwasser und Stein. In der letzten Eiszeit drangen Schmelzwasser aus dem Linthgletscher in die Tiefe des Allmen ein, wühlten sich durch Spalten, und liessen ein Wunderwerk der Erosion zurück. Das Holensteintobel unterhalb der Höhle erzählt mit seinem V-förmigen Einschnitt von einer urzeitlichen Kraft, die heute nur noch ein Rinnsal erinnert. Und doch: Man spürt sie noch, die Urmacht, wenn man vor dem Felsentor steht und das leise Plätschern hört – wie das Flüstern der Zeit.

Wer die Täuferhöhle besucht, betritt mehr als nur einen geologischen Hohlraum. Man betritt ein Gedächtnis. Einen Ort, an dem Stein und Geist sich begegnen. Wo das Ewige sich in einer Falte des Berges birgt.

 

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