Über dem türkisfarbenen Wasser des Thunersees erhebt sich eines der eindrucksvollsten Baudenkmäler des Berner Oberlands: Schloss Spiez. Ein Ort, an dem sich fast tausend Jahre Architekturgeschichte, alte Adelsgeschlechter und überraschende Legenden miteinander verweben – und der bis heute seine Besucher in eine eigene, stille Welt entführt.

Ein Wohnturm mit Geschichte

Der markante Turm des Schlosses wird oft als Bergfried interpretiert. Tatsächlich entstand er jedoch als Wohnturm – erbaut kurz nach 1200 und damit eines der ältesten erhaltenen Bauteile der Anlage. Im späten 13. Jahrhundert wurde ihm ein mehrgeschossiger Wohntrakt zur Seite gestellt, der das Schloss erstmals zu einem repräsentativen Herrschaftssitz machte.

Über die Jahrhunderte wechselte die Burg mehrfach den Besitzer:

  • zuerst die Freiherren von Strättligen,

  • ab 1338 die Familie von Bubenberg,

  • ab 1516 die einflussreichen von Erlach,

  • und schliesslich ab 1875 Hermann Karl von Wilke, dessen Nachfahren bis 1900 im Schloss lebten.

Seit 1927 befindet sich die Anlage in der Stiftung Schloss Spiez – und beherbergt heute ein sorgfältig kuratiertes Museum mit Blick in die regionale Adelskultur und frühneuzeitliche Wohnwelten.

Barocke Pracht: Der Festsaal

Im Inneren des Schlosses überrascht der Festsaal mit kostbaren frühbarocken Stuckaturen des Tessiner Künstlers Gian Antonio Castelli. 1614 geschaffen, gehören sie zu den schönsten Beispielen frühbarocker Raumkunst im Berner Oberland. Die Decke wirkt wie eine steinerne Spitze – verspielt, dynamisch und doch harmonisch angelegt.

Die Schlosskirche – Ein Ort der Könige und Chronisten

Unterhalb des Schlosses steht die frühromanische Schlosskirche, ehemals dem Heiligen Laurentius geweiht. Der Legende nach wurde sie von König Rudolf II. von Hochburgund gestiftet und diente als Mutterkirche von Einigen. Ihr Innenraum strahlt bis heute eine archaische Ruhe aus.

Hier befindet sich auch das Grab von Sigmund von Erlach, einer der prägendsten Figuren der bernischen Militärgeschichte. Wer die Kirche besucht, spürt schnell: Dieser Ort ist älter als das Schloss selbst – und wohl einer der geheimnisvollsten zwischen Thuner- und Brienzersee.

Die rätselhafte Supraporte – ein 400 Jahre altes Mysterium

Viele Besucher betreten das Schloss, suchen die Kasse – und übersehen dabei den Schatz, unter dem sie hindurchschreiten: eine kunstvolle Supraporte aus Stein, verziert mit den Wappen der Familien von Erlach (links) und von Steiger (Steinbock, rechts). Ganz unten am Rand ist die Jahreszahl 1601 erkennbar.

Doch wie kommt es, dass dieses filigrane Werk so hervorragend erhalten ist?

Eine Entdeckung unter Putz

Als die Stiftung 1929 das Schloss übernahm, war die ganze Anlage weiss verputzt. Von der Supraporte keine Spur. Erst bei Restaurierungsarbeiten fiel Spezialisten auf, dass sich unter dem Putz etwas verbarg. Schlag um Schlag legten sie das Allianzwappen frei – ein Kleinod, das über Jahrhunderte verborgen geblieben war.

Warum jedoch wurde es zugemauert?

Bis heute gibt es keine gesicherten Quellen. Doch eine Erklärung erscheint besonders plausibel – und erzählt sich fast wie eine kleine Schloss-Novelle.

Eine Geschichte von Liebe, Rivalität und Repräsentation

Am 24. September 1594 heiratete Franz Ludwig von Erlach in Bern die adlige Salome Steiger. Das Paar lebte im Sommer auf Schloss Spiez – ein Ort, der standesgemäss wirken sollte. Der kunstvolle Eingangsbereich mit den beiden Wappen unterstrich den gemeinsamen Anspruch und die Bedeutung der Verbindung.

Doch 1613 veränderte sich alles: Salome starb nach elf gemeinsamen Kindern. Im selben Jahr heiratete Franz Ludwig erneut – die zwanzig Jahre jüngere Johanna von Graffenried.

Und hier beginnt das Rätsel: Musste Johanna jedes Mal, wenn sie das Schloss betrat, „unter“ dem Wappen der ersten Frau hindurchgehen? Fühlte sich der neue Ehebund durch die repräsentierte Vergangenheit überschattet? War es ein Akt der Pietät, der Rücksicht – oder des politischen Feingefühls –, die Supraporte zu überdecken?

Vielleicht äusserte Johanna den Wunsch. Vielleicht war Franz Ludwig selbst der Ansicht, dass die sichtbare Erinnerung an die verstorbene Frau die neue Ehe hätte beeinträchtigen können. Und vielleicht spielt auch die Kinderzahl eine Rolle: Salome schenkte ihm elf Kinder – Johanna später sogar 26.

Was auch immer die tatsächliche Motivation war: Die Supraporte wurde zugemauert – und ihr Geheimnis für Jahrhunderte eingeschlossen.

 

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